Viele Menschen leiden an chronischen Schmerzen im Bereich des Bewegungsapparates. Kopfschmerzen, Nackenschmerzen, Verspannungen der Muskulatur, Beschwerden zwischen den Schulterblättern,
aber auch Schmerzen im unteren Rücken, den Hüften oder den Kniegelenken sind häufig und haben nicht in allen Fällen eine Ursache vor Ort sondern können auch auf eine funktionelle Problematik zurück
zu führen sein. Auch bei Schwindel, Tinitus, also Ohrgeräuschen oder chronischer Heiserkeit und Schluckbeschwerden können solche Funktionsstörungen vorliegen.
Ursachen können hier in
Beinlängendifferenzen, Fehlstellungen der Füße oder der Beine, einer Fehlfunktion in den Kreuz-Darmbein-Gelenken (=Ileosakralgelenken, ISG), einer Fehlhaltung der Wirbelsäule oder aber eben in einer
Fehlfunktion der Kiefergelenke liegen.
Eine solche Fehlfunktion kann anlagebedingt, also z.B. durch ein Fehlwachstum des Kiefers, durch Erkrankungen, also z.B. Karies und Parodontose oder nach zahnärztlichen oder kieferorthopädischen
Behandlungen entstehen.
Patienten mit durch eine Funktionsstörung im Bereich der Kiefergelenke verursachten Beschwerden haben häufig einen langen Leidensweg durchlaufen bis die entsprechende Diagnose gestellt und eine
Erfolg versprechende Behandlung eingeleitet wird. Die Behandlung solcher Beschwerden ist sinnvoll nur interdisziplinär, das heißt von verschiedenen medizinischen Fachbereichen gemeinsam
durchzuführen. Dabei spielen neben dem Orthopäden und dem Zahnarzt vor allem die Physiotherapeuten und Osteopathen eine große Rolle. Je nachdem ist auch eine zusätzliche psychotherapeutische
Behandlung sinnvoll.
Wie wird die Diagnose gestellt?
Zunächst ist es wichtig, dass ein behandelnder Arzt oder Zahnarzt bei von einer Patientin oder einem Patienten berichteten Beschwerden, die in das Krankheitsbild einer Cranio-mandibulären Dysfunktion
passen, an die Möglichkeit einer solchen Erkrankung denkt. Denn die Diagnose ist zu einem großen Teil bereits aus der Anamnese, also der Befragung der Patienten zu stellen. Von Interesse sind hier
Informationen über Art und Dauer der Beschwerden, über den Zeitverlauf der Schmerzen über den Tag, den Zusammenhand der Beschwerden mit anderen Dingen wie z.B. beruflichem oder privatem Stress.
Häufig steht der Beginn der Beschwerden in einem zeitlichen Zusammenhang mit einem voraus gegangenen Zahnproblem und /oder einer zahnärztlichen oder kieferorthopädischen Behandlung.
Anschließend
erfolgt eine Untersuchung, zu der auch beim Orthopäden immer ein Blick in den Mund und auf die Zähne erfolgen sollte. Fehlen zum Beispiel auf einer oder beiden Seiten Backenzähne, sind Füllungen,
Kronen, Brücken, Implantate oder Prothesen unterschiedlich hoch oder hat der Patient Zeichen für einen erhöhten Abrieb der Zähne, wie es zum Beispiel bei Knirschern vorkommt, so können all dies
Zeichen dafür sein, dass eine CMD bestehen könnte.
Wie weit kann der Patient den Mund öffnen, knackt es im Kiefergelenk, ist die Mundöffnung oder das Schließen des Mundes unregelmäßig, kommt es dabei einseitig zu einem ersten Kontakt der Zähne, ist
die Muskelspannung der Kaumuskulatur nicht seitengleich? All dies sind weitere Fragen, die eine entsprechende Untersuchung klären sollte. So genannte kinesiologische oder propriozeptive Tests auf den
Kraftunterschied bestimmter Muskeln der Arme oder Beine bei offenem Mund oder zugebissenen Zähnen können den erfahrenen Arzt oder Zahnarzt auf dem Weg zur entsprechenden Diagnose weiter
bringen.
Hat die Fehlfunktion der Kiefergelenke mit den Beschwerden etwas zu tun?
Zur Sicherung der Diagnose und ihrer Auswirkung auf die Wirbelsäule und das Becken ist die Durchführung einer strahlungsfreien 3D-Wirbelsäulenvermessung absolut sinnvoll. Dabei werden
waagerechte Lichtlinien auf den unbekleideten Rücken des Patienten projiziert und dann mit einer Digitalkamera aus einem bestimmten Abstand und Winkel fotografiert. Die entsprechenden Bilder werden
von einer aufwändigen Computer-Software bearbeitet und ausgewertet. So kann die Haltung der Wirbelsäule und des Beckens millimetergenau dreidimensional ermittelt werden. Eine solche Vermessung bietet
außer der hohen Genauigkeit den Vorteil der Strahlenfreiheit. Daher können bedenkenlos mehrere Bilder in unterschiedlicher Funktionsstellung der Kiefergelenke sowie zusätzlich Bilder mit
Beinlängenausgleich, Stand mit oder ohne Einlagen oder mit Aktivierung der Fußmuskulatur erstellt werden. So lässt sich unterscheiden, ob eher eine aufsteigende, also von Füßen, Beinlängen oder
Beinachsen oder eher eine absteigende, also vom Kiefergelenk ausgehende Symptomatik vorliegt. Eine gute Vergleichbarkeit solcher Aufnahmen besteht durch die Durchführung der Vermessungen nach den
Richtlinien des Intermed-Forums e.V., in dessen Rahmen ein Expertengremium aus Zahnärzten und Orthopäden bestimmte Einzelmessungen im Rahmen einer solchen Diagnostik empfiehlt.
Ergänzend zu dieser Wirbelsäulenvermessung erfolgen noch Fußdruckmessungen und Gleichgewichtstestungen in unterschiedlichen Funktionsstellungen der Kiefergelenke, die weitere
Hinweise für Zahnarzt und Orthopäden zur Kiefergelenksfunktion liefern.
Was untersucht der Zahnarzt?
Auch bei einem Zahnarzt mit dem Tätigkeitsschwerpunkt „Funktionsdiagnostik und –therapie erfolgt natürlich zunächst eine normale zahnärztliche Untersuchung bezüglich der Zähne und des Zahnfleisches,
bezüglich der vermuteten Problematik erfolgt dann eine manuelle Funktionsdiagnostik, die den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und –therapie (DGFDT) folgt. Als sinnvolle
Ergänzung wird eine instrumentelle Funktionsdiagnostik, eine so genannte Condylographie durchgeführt, die zeigt, wie unter verschiedenen Voraussetzungen die Bewegungsabläufe der beiden Kiefergelenke
sind.
Welche Therapie wird durchgeführt?
Hat sich aus den erfolgten Untersuchungen der Verdacht bestätigt, dass eine Fehlfunktion der Kiefergelenke, also eine CMD besteht, erfolgt therapeutisch
typischerweise eine zahnärztliche Behandlung mit einer Aufbiss-Schiene zur Entlastung oder Korrektur der Kiefergelenke. Diese sollte mindestens nachts, besser aber auch möglichst viel tagsüber
getragen werden. In den nächsten Wochen wird diese Schiene immer wieder eingeschliffen und korrigiert, bis die gewünschte Kiefergelenksfunktion annähernd erreicht ist. Kombiniert wird diese
Schienentherapie mit einer regelmäßigen physiotherapeutischen oder osteopathischen Behandlung des Kauapparates. Besteht zusätzlich zur Kiefergelenksproblematik auch eine aufsteigende Ursache der
Wirbelsäulenfehlhaltung, so sollte diese jedoch vor der Schienentherapie mittels Einlagen oder Beinlängenausgleich korrigiert werden.
Ist die Therapie erfolgreich?
Die Therapiekontrolle erfolgt in erster Linie anhand des Beschwerderückgangs. Da der menschliche Körper aber eine Vielzahl von Möglichkeiten einer Kompensation, also eines Ausweichens besitzt, sollte
eine Kontrolle der 3D-Wirbelsäulenvermessung erfolgen, um die Auswirkung der Schiene auf die Wirbelsäulen- und Beckenhaltung zu dokumentieren. Dabei werden auch kleine Veränderungen der Schienenhöhe
links und rechts vorgenommen, um dem behandelnden Zahnarzt weitere Informationen über Verbesserungsmöglichkeiten zu liefern. So kann auch eine dauerhafte Verbesserung der Beschwerden gewährleistet
werden. Bei Bedarf werden diese Untersuchungen wiederholt.
Sind die Kiefergelenke in ihrer Funktion normalisiert und damit die Beschwerden deutlich gelindert oder sogar verschwunden und zeigt die 3D-Wirbelsäulenvermessung keine weitere
Verbesserungsmöglichkeiten bezüglich der Wirbelsäulenhaltung sollte das Gebiss entsprechend der Passform der Schiene zahnärztlich oder kieferorthopädisch unter regelmäßigen Kontrollen durch den
Orthopäden korrigiert werden, um einen dauerhaften Therapieerfolg zu gewährleisten.
Zusammenfassung
Bei unspezifischen Beschwerden im Bereich Kopf, Nacken, und Rücken ist häufig eine Fehlfunktion der Kiefergelenke die Ursache, die von Orthopäden und Zahnärzten zunehmend auch beachtet wird. Außer
einer gezielten Untersuchung sind eine zahnärztliche und orthopädische Funktionsdiagnostik erforderlich, um die entsprechende Diagnose zu stellen. Die 3D-Wirbelsäulenvermessung bietet hier eine
hervorragende Möglichkeit im Rahmen der Diagnostik und der Verlaufskontrolle unter Therapie.